„Design ist ein Abenteuer“
In die Gedankenwelt kluger Köpfe eintauchen zu dürfen, ist immer ein Privileg. So auch bei Jean-Marie Massaud, seines Zeichens Stardesigner für die italienische Spitzenmarke Poliform und kreativer Geist mit beeindruckender Vita. Exklusiv gewährte er uns Einblicke in seine Denkweise, seine Motivation und seine gestalterischen Überzeugungen, die wir anlässlich des ersten Geburtstags unseres großen Poliform Studios mit Ihnen teilen.
Monsieur Massaud, Sofas haben das Zeug zur Ikone im Wohnzimmer, an die sich Generationen zurückerinnern. Was muss ein gutes Sofa bieten, um ein Begleiter fürs Leben zu werden?
Jean-Marie Massaud: Es gibt 1000 kulturelle und architektonische Kontexte, geografische Begebenheiten, Arten und Größen von Räumen, ebenso viele Lebensweisen und Empfindungen. Ob modern oder klassisch, bequem oder kuschelig, ein gutes Sofa ist vor allem ein Riff des Lebens, ein Ort des kompromisslosen Komforts, der an meine eigene Lebensweise angepasst ist.
Und der Frage nach dem Guten füge ich die Forderung nach dem Schönen hinzu! Denn ein gutes Sofa muss auch stilvoll sein. Es ist der Mittelpunkt des Hauses, Zeuge und Akteur des Familienlebens. Sein „Charakter“ wird, wie Sie sagen, Teil unserer Erinnerungen sein.
Daher habe ich für Poliform so unterschiedliche Sofas wie das Ernest, das Bristol oder das West Side Soft entworfen, die alle Ausdruck meiner Sensibilität für unterschiedliche Kontexte sind.

Sie lassen sich stark von der Natur inspirieren, stehen wie kein anderer für organische Formen, für poetisch anmutende Strukturen. Was sagt ein solcher Einrichtungsstil eigentlich über mich als Käufer aus?
(Lacht) Dass Sie sehr einfühlsam und elegant sind! Aber mehr als „minimalistisch-organisch“, wie die Presse meinen Stil bezeichnete, würde ich meinen Ansatz als kontextuell, ganzheitlich und mit dem empfindsamen Menschen im Zentrum der Überlegungen bezeichnen. Das Objekt um des Objekts willen interessiert mich wenig.
Wie kann ich als Laie erkennen, ob ein Möbelstück wirklich zu mir und meinem persönlichen Wohnstil passt?
Unsere Häuser sind keine Showrooms, keine Statussymbole, sondern sensible und lebendige Orte. Befriedigen Sie lieber Ihre tatsächlichen Lebensgewohnheiten als fantasierte Potenziale. Denken Sie nicht zu groß, sondern geben Sie der Intimität, der „Komplizenschaft“ den Vorzug. Der einzige Rat, den ich Ihnen geben kann, ist, sich auf Ihr inneres Empfinden zu verlassen.

Wichtig ist bei Ihnen das Einladende, das weniger Strenge, der erhöhte Komfort. Machen Sie dafür auch schon mal ein Zugeständnis ans Design, Stichwort: Form follows function?
Ich stelle immer den Gebrauch, das Gefühl und das Lebensszenario in den Vordergrund. Dort sind die erweiterten Funktionen, die das Design berücksichtigen muss. Die Form ist der Hintergrund, der an die Oberfläche kommt. Ich verstehe unter Form, jenseits von Strich oder essenzieller Kompetenz, den Ausdruck, die Symbolik, die Subjektivität genauso wie die Proportion, das Präzise oder die absichtliche Unschärfe. Ich verfolge einen ganzheitlichen Ansatz, denn wir sind mehr als nur Körper.

Wie würden Sie Ihren eigenen Stil in drei Worten beschreiben?
Essenziell, zeitlos, elegant. Mein Streben ist die Quintessenz der Erfahrung, bei der die Emotion die Kompetenz und die Qualität, die es zweifellos braucht, übersteigt.
Was macht Ihnen eigentlich mehr Spaß: ein Sofa zu entwerfen oder ein Fußballstadion zu bauen?
Ich mag es, den Maßstab oder den Kontext zu ändern. Das nährt meine Neugierde ebenso wie meine Kreativität. Design darf keine sich wiederholende Arbeit sein. Es muss eine Entdeckung sein, ein Abenteuer, ein immer wieder neues Thema.
Ein Stadion, das einem Vulkan nachempfunden ist („Volcano“ in Guadalajara), ein Zeppelin in Form eines Wals: Würden Sie Ihre Ideen selbst als revolutionär beschreiben? Und war es schwierig, die Verantwortlichen und die Geldgeber davon zu überzeugen?
Einige meiner Projekte waren ihrer Zeit weit voraus. Viele blieben vertraulich und ungenutzt. Einige, wie das Stadion, wurden fertiggestellt. Andere, wie das Toyota-Konzeptfahrzeug oder die Life Reef Towers, durchdringen und beeinflussen ihre Bereiche. Das ist das Los jedes progressiven Designers. Das gilt auch für die Industrie, das Marketing und die Evolution.

Sie sind sehr naturverbunden, viel unterwegs und beschäftigen sich ausgiebig mit dem menschlichen Wesen. Was wäre eigentlich aus Ihnen geworden, wenn Sie kein Spitzendesigner geworden wären?
Ich könnte mich mir als Komponist vorstellen, denn Musik ist die Kunst, die für mich emotional am stärksten und universellsten ist. Und ich könnte mich auch als Surfer sehen, weil ich in der Lage bin, die Gegenwart in Symbiose mit den Elementen zu leben.
Jean-Marie Massaud
Geboren 1966 in Toulouse, Frankreich. Nach dem Abschluss der Pariser Designhochschule ENSCI arbeitete er auf verschiedenen Kontinenten für internationale Spitzendesigner, bevor er 2000 sein „Studio Massaud“ gründete. Seitdem erschafft er Kreationen in den verschiedensten Facetten des Designs, von Möbeln (unter anderem für Poliform) über Industriedesign bis hin zu beeindruckenden Großbauwerken. Ob spektakulär oder pragmatisch, jede seiner Arbeiten vertritt sein ureigenes Paradigma: Im Mittelpunkt steht der Mensch mit seiner natürlichen Umgebung – genau wie für uns bei Wetscher, was sich auch in unserem großzügigen Poliform Studio widerspiegelt. Hier können Sie einige Kreationen von Jean-Marie Massaud selbst bewundern und sich direkt von deren einzigartigem Komfort überzeugen!