Glanz, Glitzer und an Unheimlichkeit grenzende Ausdehnung. Dubais Shopping Malls zählen nicht nur zu den größten der Welt, auch Anzahl und Dichte laden ein auf eine Reise, die uns in ein anderes Land, in ein vergangenes Jahrhundert und auch ein wenig in die Zukunft führt, bei der wir hoffentlich unseren “Last Exit” nicht verpassen.
Acht Fahrspuren führen durch und hinaus aus der Stadt Dubai in Richtung Abu Dhabi. Links ein sandiges Nichts im gleißenden Sonnenlicht, rechts Hochspannungs- und Funkmasten, Industriebauten. Wir biegen ab zur Raststation „Last Exit“, einem Street Food Truck Park, dessen inszenierte Trostlosigkeit nirgends besser hinpassen würde. Ein Themenparkplatz in dekonstruktiver Hinterhof-Optik. Chickenwings unter Dattelpalmen. Dieser erste Eindruck wird anhalten.
Nächste Station „The Outlet Village“. Außen und innen eine nette Kopie des italienischen Städtchens San Gimignano. Enge Gassen führen auf breite Plätze, hinter den Fenstern der steinernen Fassaden locken die großen Brands des Einzelhandels. Das Wolkenspiel der Toskana, grelles Licht und kühle Schatten werden durch eine architektonisch spannende Glasdecke auf die schweren Steinplatten des Bodens projiziert. Die Innentemperatur hält konstant auf Kauflaune, während die Hitze im Sommer draußen an der 50-Grad-Marke kratzt.
Moden halten kürzer als Material
Themen-Inszenierung zum Quadrat – ist das heute noch das Rezept für erfolgreiche Shopping Places? Das „Mercato Center“ zeugt vom Zahn der Zeit auch bei beherztem, detailverliebtem Nachbau italienischer Renaissance. Stimmig in Größe und Aufteilung, tollem Lebensmittelanker sinkt es durch die thematische Besetzung gegenüber neueren Malls ab in eine rein regionale Bedeutung. Tage später werden wir im „Burj al Arab“, dem Landmark-Hotel Dubais, einen ähnlichen Eindruck von der Innenraumgestaltung mitnehmen. Die Anziehung schwindet furchtbar schnell, wenn der vergängliche Zeitgeist zu viel Anteil an der Gestaltung einnimmt.
Ganz anders beruhigend der Innenraum der neuesten Mall – “Dubai Hills”. Klassisch schön, zurückhaltend, edle Materialien sind in strenge Linien und Formen gefasst, strahlen eine zurückhaltende Eleganz aus. Eine wegweisende Architektur in sanftes Licht und viel Grün im Außenbereich gehüllt. Die Breite der Gänge, die Höhe der Räume wirken beim jetzigen Vermietungsgrad noch viel zu überdimensioniert. Obwohl aus dem Nichts gebaut, künstlich erschaffen, trägt diese sehr moderne, themenlose Gestaltung viel weniger den Zeitstempel.
Kaufort der Sinne – der arabische Souk
Szenenwechsel. “Dubai Deira”, der alte Stadtteil samt seinem Souk. Weihrauch, Gold und enge Gassen. Exotische Düfte, Farben, Menschen und Sprachen. Ein Ort weit mehr als ein Geschäft. Börse, Treffpunkt, Schattenraum und Umschlagplatz. Das und ein unübertreffliches Verkaufsgeschick wurden in Arabien vor Jahrtausenden geboren. Die Menschen treten hier noch in eine echte Beziehung zueinander. Verkäufer brennen darauf, Sprache und Begehren der Kunden schon von großer Distanz zu erraten, wissen gekonnt eine Situation in ein Gespräch zu leiten. Liegt hier die wirkliche Magie morgenländischen Verkaufsgeschicks?
Wie im Souk ist die eigentliche Beschaffung einer Ware nur der kleinste Teil der Motivation, eines dieser großen, eleganten Center zu besuchen. Sehen und gesehen werden, flanieren, gustieren, Neues erfahren und erleben, Essen und Trinken, Freizeit – vor allem sich aufladen in einem kleinen Stück der großen, gefilterten Welt. Natürlich ist es künstlich, das Licht, die Luft, Waren und Dekorationen samt Themen. Strahlender Glanz, gebaute Sterilität, um nur ja nicht konfrontiert zu werden mit der unerträglichen Sonne und allem, was es darunter sonst noch auszuhalten gilt. So sind Shopping Malls hier viel mehr als eine Ansammlung von Geschäften und Restaurants. Sie sind Stadt, Land und Freizeitpark, Behörde, Arzt, Kinderparadies und Unterhaltung. Die Theatralik einer unfassbaren Größe, faszinierender Lichter, visueller Überraschungen und das magische Spiel mit dem Wasser faszinieren Menschen aus aller Welt. Und zwischen April und November sind sie der einzige öffentliche Ort, an dem es sich aushalten lässt.
Im Rhythmus der Skyscraper
Am “Burj Khalifa”, dem mit über 800 Metern höchsten Gebäude der Welt, tanzen alle halben Stunden die Wasserfontänen im Rhythmus internationaler Ohrwürmer. Die Szenen wirken irreal, fantastisch der Reigen der Wolkenkratzer im Gegenlicht der untergehenden Sonne. Es blinkt und blitzt hoch hinauf, während unten dicht gedrängt unzählige Menschen mit offenen Mündern und hochgehaltenen Handys in dieser Show gefangen sind.
“The Mall of Emirates”, bekannt durch Indoor Skiing und mehrstöckigem Aquarium. Die elegante alte Dame der Dubaier Shopping Malls. Ein Manager zeigt uns Entwicklungen und erzählt von Covid-Herausforderungen der letzten Jahre. Auch hier gilt wie überall, die Konkurrenz und der Teufel schlafen nicht. Es gibt Teilbereiche, deren nötiger Umbau ersichtlich ist, wieder andere, bei denen scheinbar alles stimmt, die aber wirtschaftlich nicht funktionieren. Auch das ist ein Benefit einer Studienreise – zu erfahren, dass woanders die Probleme durchaus ähnlich sind.
Die Welt vereint
In einem schicken Café sitzt eine nordeuropäisch aussehende, junge Frau im vertrauten Gespräch mit einer etwas älteren Araberin. Schwarzer Hidschab. Drei aufgeweckte Kinder werden am anderen Tischende vom Kindermädchen, einer Schwarzafrikanerin, beaufsichtigt. Ein indischer Kellner bringt die Bestellung an den Tisch. Die Selbstverständlichkeit dieses liebevollen Miteinanders wirkt anziehend. Diese multikulturelle Offenheit macht für viele den Reiz dieser Stadt aus.
Und die Expo 2022?
Auch hier beeindruckende Maßlosigkeit, unfassbare Größe auf einem schier unüberschaubaren Gelände. Das Konzept der Weltausstellung aus dem 19. Jhdt., die rein nationale Darstellung wehrt sich erfolgreich gegen Innovation. Und während in vielen Pavillons mit unterhaltsamen Effekten und beeindruckenden Videos über Nachhaltigkeit und eine Welt im Einklang mit sich selbst informiert wird, verkauft ein Gastarbeiter am Eingang gekühltes Wasser in Aludosen.
Wie die immerwährende Sonne der Wüsten hier zur sauberen Energie für uns alle würde, das hätte wahrscheinlich ein Teil des Budgets dieser Weltausstellung beantworten können. Große Ideen, ein Fenster in eine bessere Zukunft fallen hier einer wirklich gut gemachten Unterhaltung zum Opfer. Ein Disney Park für Erwachsene.
Es gilt auf Japan zu hoffen – auf die nächste Expo in Osaka, dass wir wieder mit dabei sein dürfen. Und dass wir als Welt insgesamt unseren „Last Exit“ nicht verpassen.