Für viele Möbelliebhaber ist es ein zentraler Trendradar im Jahr – die Maison & Objet in Paris zeigte Gegensätze: Struktur und selbstverliebte Dekoration. Nützliches und „Undinge“ selbstbewusst gepaart. Luxuriös und funktional, radikal dem eigenen Ich zugewandt, die Außenwelt abgrenzend – so entstehen höchst persönliche Illusionen einer heilen Welt. Alles dreht sich um den Bewohner, seine Bequemlichkeit und seine Vorstellung von der Welt, die sich in Farben, Formen, Oberflächen spiegelt.
Letzter Tag, schon nach 18 Uhr, Messeende. Regen und eine bis auf den letzten Zentimeter gefüllte Bahn Richtung „Île de France“. Es raucht der Kopf von den vielen Eindrücken der mehr als 100.000 Quadratmeter großen Messe. Mein Blick wird monoton und fällt auf eine mir gegenübersitzende ältere Frau. Ihr Blick, ihre ganze Aufmerksamkeit sind gefangen in einem Smartphone, das sie dicht vor ihrem Gesicht hält und von dessen Hülle „Katzenohren“ aufstehen. Die physiologischen Züge, das runde Gesicht der Frau, zeugen ganz eindeutig von asiatischer Herkunft und würde sie statt ihrer Handyhülle diese spitzen Plastikohren tragen – zumindest eine Nebenrolle im Musical „Cats“ wäre ohne weitere Maske möglich. Ihr Handy ist zum Spiegelbild, zum Teil der eigenen Identität geworden. Mit den lieb gewonnenen eigenen Zügen wird das nächste, wichtige Ding der eigenen Umgebung „verdekoriert“.
Gesucht wird das eigene „Ich“ – und damit Vertrauen
Es ist dasselbe Motiv wie die Suche nach der perfekt passenden und eingerichteten Wohnung. Die Sache vom Suchen und Finden von sich selbst und jenen Dingen, die einem selbst ähnlich sind. Das schafft Vertrauen, lässt entspannen und wird durch diese „Entsprechung“ als schön empfunden.
Die Messe dieses Jahres ist Geschichte. Aus und vorbei. Vorbei – das wurde deutlich – ist auch die Zeit der weißen Wände, von kühlem, billigem Design, das Ende von stylischem Tant. Jetzt ist Tapete wieder in. Farben, Muster aus der Pflanzenwelt und scharf geschnittene Ornamente. Ein graphischer Blätter- und Blütenwald. Ganze tropische Wälder finden sich zusammen mit farbigen Papageien oder wilden Affen an die Wand geklebt.
Natur, exotisch oder als finnischer Birkenwald, wird idealisiert und soweit in unsere Räume hereingeholt, als sie uns hilft, unsere Vorstellung einer heilen Welt zu zeigen. Wilde Pferde auf einer endlos weiten, unberührten Landschaft, eine prächtige Baumgruppe, allesamt in schneeweißem Nebelschleier – die Szenerie wird idealisiert, beruhigt und lädt ein, den Blick zu weiten.
Alles wirklich Fremde muss draußen bleiben
Echte, unberechenbare Natur aber – oder eine noch so nachhaltige Unbequemlichkeit – ja alles wirklich Fremde muss jetzt draußen bleiben. Es geht um den Bewohner, einzig darum. Seine Bequemlichkeit und seine Vorstellung von der Welt, die in Farben, Formen, Oberflächen und Strukturen, mit allem Nützlichem und „Undingen“ zum Ausdruck kommt.
Fremde Welten bleiben Dekorationen. Afrikanische Skulpturen, ozeanische Archaik, Dschungelstil und exotische Tiere – dieser üppige Mix zeigt die Vielfalt unserer Welt. Eine Vielfalt an Materialien, Mustern und Strukturen, fein säuberlich farblich abgestimmt mit den Fransen einer witzig-spießigen Schirmleuchte. So bleibt alles Fremde geordnet und kontrolliert, der Zauber der Exotik als Trophäe eines faszinierenden eigenen Ichs – als Meilenstein eines aufregenden Lebensstils – auf dem Glasregal der Retroschrankwand.
Die bunten Farben, wie Grün, Gelb, Blau, aber auch Flamingo-Pink, die an exotische Früchte erinnern, bleiben uns weiterhin erhalten. Gerade jetzt, im verregneten Paris, holt das satte Gelb einer „Zitronenvase“ das Licht, den Duft und die Erinnerung an gerade diesen Sommer zurück.
Und Asien ist nun wieder angesagt. So präsentiert der trendige Concept-Store „Merci“ ganze Abteilungen mit japanisch anmutender Ware mit diesen zarten, ruhigen und respektvollen Formen und Farben. Besonders hip: japanisches Textil & Geschirr, selbst Mitarbeiter sind jetzt Japaner.
Warme Farben, luxuriöse Materialität, schlichte Funktion
Die Farben reichen von Pudertönen, Rosé, Gold, Kupfer, Messing – vorwiegend warme Farben, die Gemütlichkeit ausstrahlen. Weniger ist mehr, Zurückhaltung angesagt, dafür wird viel Wert auf luxuriöse Materialität gelegt. Der innere Wert, die Ausstrahlung ergeben sich so oft erst auf den 2. Blick.
Und natürlich noch immer da ist diese funktionale Optik des Maschinenzeitalters: „metallern“ und schwarz. Auf die schlichte Funktion, auf das Einfachste und Billigste reduziert. Dazu passend sehr viel „Used-Optik“, „Shabby Chic“ und überall diese übergroßen, mundgeblasenen Glasbirnen, die wie Käfige Glühdrähte und Birnen umhüllen, die selbst aus den Anfängen des elektrischen Lichtes herrühren.
Immer öfter ist jetzt auch zu sehen, dass die Form klarer, das Material anspruchsvoller wird. Die Dinge stehen selbstbewusst wie nie für sich. Unaufdringlich, anmutig, feinst verarbeitet mit edelsten, echten Materialien. Ohne den geringsten Geruch von „provinzieller Gestrigkeit“. Ohne Prunk und Plüsch. Und im respektvollen Austausch ein wirklich neues Raumgefühl gebend.
„Alpin“ als Mosaik der internationalen Bühne?
Und was ist wirklich ganz neu, was zeigt sich noch verschämt und scheu, wird vielleicht erst zur nächsten Messe erwachsen? Zum ersten Mal sehe ich Altholz – ist das zu glauben, hier in Paris? Altholz, wie wir es für unsere alpinen Chalets verwenden. Wird gar unser alpiner Stil jetzt Teil dieser internationalen Bühne?
Die neue Qualität: Aufregend zurückhaltend
Die überfüllte Bahn hat sich geleert. Ich spaziere den Boulevard Saint-Germain Richtung Rue du Bac, dort wo die großen Möbelmarken ihre Schauräume haben. Eine junge Frau steht am Eingang eines „Design Week“-Ladens. Schlank und groß mit langen, glatten Haaren. Ihre Kleidung ist schlicht, unauffällig und erst der zweite Blick verrät die Qualität großer Marken. Fein und unkapriziös abgestimmt. Eine zurückhaltende, aber selbstbewusste Eleganz an der Grenze zur Sportlichkeit. Groß und schlank, anziehend und aufregend. Genauso haben sich die neuen Innenräume gezeigt. Das ist der Trend.