Worin liegt der Wert von Handwerkskunst? Ist dieser Hände Arbeit ein stiller Gegenentwurf zur lauten Massenproduktion? Finden wir in ihr Seele statt Schein? Eine Hommage an die „handliche Schönheit“, die auch unser Haus mit seiner über hundertjährigen Geschichte seit jeher begleitet.
Er ist einer der berühmtesten Architekten der Welt. Und wer fundiert dem Wert des Handwerks nachspürt, kommt an ihm nicht vorbei. 2009 erhielt er den Nobelpreis der Architektur, Pritzker-Preisträger Peter Zumthor. Von jeher begeistert der Schweizer mit seinen Entwürfen, seinem Blick für das Wesentliche, der einen klaren Bewusstseinswandel weg von der Ökonomie der Verschwendung dokumentiert. Zumthor legt viel Wert auf das verwendete Material – setzt sich aktiv für die regionale Handwerkskunst ein. Für den Werkraum Bregenzerwald, eine Initiative österreichischer Handwerker, hat er sogar ein eigenes Ausstellungshaus entworfen.
Alles ist in mir
In seinem Buch „Atmosphären“ beschreibt er an einer Stelle seine Beobachtungen an einem ganz speziellen Platz – Häuserfronten, Kirche, Monumente, Handwerkskunst, eine perfekte Maßstäblichkeit. Gefühlte Harmonie, die mit dem Platz entsteht und beim Verlassen entschwindet. Und er schreibt: „Ich hätte diese Gefühle so damals nie gehabt, ohne die Atmosphäre des Platzes.“ Ein Beleg für den berühmten englischen Satz, der auf Platon verweist: „Beauty is in the eye of the beholder.“ Das mag heißen: Alles ist in mir. Es gibt eine Wechselwirkung zwischen den Menschen und den Dingen. Eine Hingabe an den Augenblick. Eine Alchemie, die durch handwerkliche Schönheit, räumliche Komposition, regionale Unverwechselbarkeiten beflügelt wird – eine Magie des Wirklichen und des Realen.
Handwerk vs. Masse, Seele vs. Schein
Vielleicht ruht hier der tatsächliche Wert von Handwerkskunst als stiller Gegenentwurf zur lauten, marktschreierischen Massenproduktion weltweiter Märkte. Hier das tiefe und zum Teil vom Aussterben bedrohte Wissen und Können traditionellen Handwerks, dort überbordender Konsum immer gleicher, zwillingsähnlicher Fließbandprodukte. Handwerk versus Massenprodukt. Seele versus Schein. Haltung und Persönlichkeit eines Individuums versus verordneter Zeitgeist konsumiert im Kollektiv.
Für mich immer wieder spürbar: Die Qualität eines Handwerksstücks im Raum löst etwas aus, verändert den Raum. Verleiht Regionalität, Nachhaltigkeit, Unverwechselbarkeit, adelt eine Wohnatmosphäre mit Individualität. Das besondere Stück, die Einzigartigkeit, der Luxus, die Kostbarkeit stehen im Kontrast zum Massenprodukt, groß geworden in einer zunehmend achtlosen Wegwerfgesellschaft. Das Handwerksprodukt wird zur dritten Haut, zum Ausdruck der eigenen Persönlichkeit.
Konstruktives Spiegelbild eines Lebensentwurfs
Material, Verarbeitung und Entstehung lassen im besten Fall das Handwerksstück zu einem Teil von uns selbst werden – kein anderes existiert so, Möbel und Bewohner gleichermaßen unverwechselbar und sicher nicht perfekt. So wird mein Raum durch Handwerk individueller und besonderer. Kehren wir der Austauschbarkeit den Rücken. Und übernimmt das Handwerk formale Verantwortung: Zeigt Herkunft und Geschichte. Wird zum konstruktiven Spiegelbild des unmittelbaren Lebensentwurfs.
Verknüpft Geschichten und persönliche Erinnerungen, spezielle Lebensmomente mit eigenen Werthaltungen.
Das Geheimnis des Einzigartigen
Die Schönheit des Handwerks liegt für den britischen Philosophen John Ruskin mehr im Detail, im Ornament als im großen Entwurf. Er spricht von „handlicher Schönheit“. Im Handwerksstück liegt jenes implizierte kulturelle Wissen des Handwerkers, das von Meister zu Lehrling, von Generation zu Generation übertragen und weitergegeben wird. Das nicht offen jedem zugänglich und dokumentiert ist, und damit auch nicht digitalisiert oder von Maschinen übernommen werden kann. Das Geheimnis des Einzigartigen, das Cellinis Goldschmiedewerkstatt oder Stradivaris Geigenmanufaktur adelte. Eine Sehnsucht nach der Schönheit höchster Handwerkskunst, die stets mit dem drohenden, unwiederbringlichen Verlust des stillschweigenden Wissens aufgeladen wird.
Wetscher Meisterklasse oder die Liebe zum Unikat
In diesem Sinne muss traditionelles Handwerk als immaterielles Kulturerbe jeder Region gelten. Eine Verantwortung, der wir uns immer auch gestellt haben. Wetscher war und ist Teil der Tiroler Identität, mit einer über hundertjährigen Geschichte und Herkunft. Und so sehen wir eine große Herausforderung als Familien- und Handwerksunternehmen heute darin, traditionelle Zillertaler Handwerkskunst ins Hier und Jetzt zu bringen. Und handgefertigte Tischlerunikate aus den Werkstätten mit internationalem Wohndesign perfekt zu kombinieren und zu ergänzen. Dass dies ein sehr erfolgreiches Konzept ist, beweisen Eigenkreationen wie Wetscher Chalet, Wetscher New Classic, Wetscher Landart oder das Wetscher Penthouse. Die Qualität von Wetscher liegt in der Ausbildung seiner Lehrlinge zu hochqualifizierten Fachkräften. Und mit der Wetscher Meisterklasse für Tischlerei und Holztechnik unterstreichen wir Tag für Tag unsere Liebe zum Handwerk. Unser neuester Film liefert Ihnen Einblicke in unsere Tischlerei und in das Handwerk, so wie wir es verstehen:
Postskriptum: Die Fotos für diesen Beitrag entstanden alle im RIVA 1920-Holzmuseum anlässlich eines Mailand-Ausflugs unserer Wetscher Meisterklasse für Tischlerhandwerk & Holztechnik im Mai 2017. Was unsere „jungen Meister“ im Herz der Möbelmetropole so alles erlebt haben, sehen Sie in unserem kleinen Film https://youtu.be/_Pde-SukEvU