Anlässlich der Mailänder Möbelmesse und abseits hipper City Guides und Bustouristik erliegen wir einmal mehr dem Reiz Mailands abseits ausgetrampelter Touristenpfade. Begleiten Sie mich auf meinem ganz persönlichen Streifzug zu Design und Schönheit.
Mailand erschließt sich nicht so leicht wie Florenz oder Venedig, ist keine Muss-Stadt im Reiseplan amerikanischer Touristen wie Rom und natürlich auch ganz anders als Wien oder eine andere Stadt nördlich der Alpen. Mailand ist Nachkriegsmoderne, Neoklassik, Mode, Banken und Landwirtschaft. An manchen Stellen viel zu aufgeblasen, an anderen anmutig, lieblich, immer aber elegant und mit und in sich auf der Suche nach Schönheit, Stil und Eleganz. Und von keiner anderen Stadt kenne ich so viele Seiten, so viele Bilder. Ob Geschäftsmann, Tourist, Designer oder Architekt, ob Modemensch oder Künstler – jeder hat sein eigenes Mailandbild, seine Ecken und Besuchsrituale.
Cassina und B&B – rund um die Piazza Largo Augusto
Ankunft auf der Piazza Largo Augusto, nach mühsamer Fahrt in die Stadt, schnell das Auto samt Schlüssel dem Garagisten übergeben – erste Vertrauensübung, hier in Italien. Jetzt aber schnell hinauf in die Via Durini zu den beiden großen Marken der Möbelwelt: Cassina und B&B üben sich fast Tor an Tor in einer ständigen Vertretung – beide Wetscher Partner schon seit der Zeit als beide noch ein Paar und sich C&B, Cassina und Busnelli, nannten. Stolz und anspruchsvoll zeigen sie der Welt ihre Interpretationen von Innovation und ihre lange Geschichte des Möbelbaus in der Brianza.
Hinein ins Mailänder Modeviertel
Vorbei an den temporären Trittbrettfahrern, an Ausstellern aller Art, die sich in diese Gasse mischen, geht‘s über die Piazza San Babila – mit festem Blick auf die gleichnamige kleine romanische Kirche, die dieser lauten Piazza den Namen gibt und den schrecklich und lauten Corso Vittorio Emanuele beendet. Schräg hinein in die Via Bagutta und damit ins Modeviertel, ins „Quadrilatero della Moda“, um gleich nach der Trattoria links in die Via Monte Napoleone zu kommen, eine der bekanntesten Modestraßen der Welt, sicher aber die eleganteste. Das viele Grün der Dach- und Terrassengärten der schlichten neoklassischen Palais, der rote Teppich, der oft die kleine Straße schmückt, hier und weiter rechts die Gassen nach Norden (goldenes Dreieck) finden sich die größten Modehäuser Tür an Tür: Armani, Versace, Dolce & Gabbana, Prada, Gucci, Missoni. Zwischendurch die angemieteten Schauräume jener Möbelmarken, die sich jährlich wechselnd und abseits der Messe etwas Glanz vom besonderen Ort erhoffen.
Das Hotel Vier Jahreszeiten – seit 20 Jahren ein Highlight
Wir biegen in die unscheinbare Via Gesù ab, schleichen stolz und selbstverständlich von der Autoeinfahrt ins Hotel Vier Jahreszeiten. Ein altes Kloster mit Garten und Kreuzgang zur First-Class-Bleibe umgestaltet, seit gut 20 Jahren ein Highlight. Der Garten öffnet den Blick in die jetzt verglasten Kreuzgänge, gotisches Kreuzgratgewölbe stößt auf messerscharfe Glaswände. Diese jonglieren mit verschiedenen Zeiten und Materialen, ein Mix der Spannung aufbaut. Das ist die Qualität hier im Süden. Das Restaurant im Tiefparterre ist von feinster Handarbeit ausgebaut und in der Bar ganz hinten links finden sich klösterliche Reste von Maßwerk und Fresken. Und wieder vermengt sich Altes spielerisch mit Neuem und erinnert, dass sich allzu reduzierte Formensprache ohne den historischen Rahmen oft schwer tut. Der Charme, die Spannung kommen aus dem „Sowohl als auch“ und genau dies ist hier meisterlich zu sehen.
Mittags-Gourmet-Stopp in traumhaftem Innenhof
Über die Via Spiga geht’s retour je nach Laune und Schaufensterinszenierungen mal schneller, mal langsamer hinauf in die Via Manzoni. Am besten über die Via Santo Spirito. Hier gibt es für die Mittagstisch-Gourmets den „Il Salumaio di Montenapoleone“, ein Lokal mit klassisch einfacher Küche in traumhaftem Innenhof. Endlich in der Via Manzoni angekommen bleiben die Verlockungen des Armani Kaufhauses samt Penthouse Hotel rechts von uns liegen. Schnell wollen wir der Betriebsamkeit und dem lauten Verkehr Richtung Brera entkommen. Wie anders die Menschen, Geschäfte und die Stimmung hier ist, und niemals – wirklich niemals – kommen wir an der Akademie vorbei.
Rund um die Akademie – alt und neu sehenswert vereint
Der vielen Möbelkollektionen schon etwas müde, erwarten uns jetzt echte Möbelhighlights rund um Boffi Küchen an der Piazza und Via Solferino. Ein unübersichtliches Gewirr von Hinterhöfen, ausgebauten Garagen, Gesindehäusern und Dachausbauten zeigen feinstes Handwerk und skurriles Design. Die Gassen dorthin sind bis zur Unpassierbarkeit belebt, besonders wenn Studenten ihren Abschluss lautstark mit Freunden und tutta la famiglia auf den Straßen feiern. Unser Ziel ist die Piazza Solferino. Von hier führt rechts weg die Via Montebello. In Nummer 7 wurde ein alter Blumenladen sehr liebevoll in ein Restaurant/ Café umgebaut. Alt und neu und vieles vom Alten respektvoll in neuer Funktion. Sehenswert.
Bulthaup in der Kirche – Katholischer Raum trifft protestantischen Schrank
Vorher galt es auf dem Weg zur Piazza Solferino noch den Weg zur aufgelassenen Kirche in der Via Marco Formentini zu erkämpfen. Enge Gassen und hohe Betriebsamkeit lähmen unser Fortkommen. Das Ziel ist es aber allemal und immer wert. Dieses Jahr von keinem geringerem als Bulthaup zur Messeausstellung erkoren. Katholischer Raum trifft protestantischen Schrank. Nach so vielen Eindrücken und engen Gassen lassen wir uns erst einmal treiben, grob die Richtung, ein leichtes, beschwingtes Ungefähr. Hinaus in ruhigere Gassen, aufpassen, nur ja nicht zu weit nach Westen abdriften, schließlich wollen wir hinter die Oper auf die Piazza della Scala. Die Straßennamen zeugen von den großen Männern Italiens – Dante, Verdi. Groß, frei und erleichtert fühlt man sich jetzt in der weltersten Shoppingpassage, den Mailänder Galerien, die das Einkaufen durch diese Architektur der kreuzenden Arme, durch Prunk und Größe erstmalig zu sakraler Größe emporhoben.
Besonders empfehlenswert der Besuch des Prada-Stammgeschäftes “Fratelli Prada”, das heute noch den eleganten Hauch des Fin de siècles versprüht, und der Liberia Bocca, der ältesten Buchhandlung Italiens. Geordnetes Chaos im engen, hohen Raum – ein Genuss für alle Buchliebhaber.
Unvergessen – zwei Carabinieri bei Gaspare Campari
Jetzt aber endlich sind wir angekommen in der Bar des Gaspare Campari, zu rotem Bitter und Blick auf den Domplatz. Müde und eindruckserledigt werde ich jenen kalten, regnerischen Tag nicht vergessen, als sich auf der Piazza menschenleer und nebelig zwei Carabinieri mit wehenden Mänteln über stattlicher Uniform vom Pferd schwangen, die Tiere wie selbstverständlich festbanden, um in der Bar einen Espresso zu trinken. Die Uniformen so farbenprächtig und aufwändig. Mit weißen Lederriemen, blauem Stoff und weit ausladenden Tellermützen und einem Ernst und Erhabenheit, dass diese Straßenpolizisten schon von ihrer Aufmachung her in anderen Ländern als Generalstäbler durchgehen könnten. Das ist Italien, das ist Mailand. Der schöne Schein, den wir alle so lieben.